Zahlst du mit Prozenten?

Anmerkungen zu den Lohnerhöhungen bei Kollektivvertragsverhandlungen

Nach einigen KV Abschlüssen im heurigen Herbst tobt wie üblich die Diskussion darüber, welcher Kollektivvertragsabschluss der bessere sei. Dabei wird üblicherweise auf die Prozentzahlen der Lohn- bzw. Gehaltserhöhungen verwiesen. Nichts könnte falscher sein. Ein Plädoyer für eine ehrliche Diskussion.

Grundlagen

 
Die Grundlage für die folgenden Überlegungen ist der sog. allgemeiner Einkommensbericht. Der aktuellste stammt aus dem Jahr 2021 und findet sich hier in der Tabelle „Mittlere Bruttojahreseinkommen (in Euro), Frauenanteil und Vollzeitanteil (in Prozent) der unselbständig Erwerbstätigen nach Branchen 2021“. In diesem werden alle Beschäftigten nach dem wirtschaftlichen Schwerpunkt des Unternehmens, in dem sie arbeiten, eingeteilt. Diese Klassifikation der Wirtschaftstätigkeiten heißt in Österreich ÖNACE 2008. Details zu dieser Einteilung in Branchen, wie wir diese der Einfachheit halber in der Folge nennen werden, finden sich hier.
 
Selbstverständlich spielen nicht nur die prozentuellen Lohn- bzw. Gehalterhöhungen eine Rolle für unsere Bezahlung, sondern auch Gültigkeitsdauer des jeweiligen Kollektivvertrages, Mindesterhöhungen (wie für 2023 in der Sozialwirtschaft), Sockelbeträge, Maximalerhöhungen (wie 2023 im Fachverband Metalltechnische Industrie), Fixbeträge (ebenda 2022) usw. Im Regelfall verstärken diese die positiven oder negativen Auswirkungen der prozentuellen Erhöhungen allerdings nur und werden daher in der Folge außer Acht gelassen, um das zentrale Argument stärker hervorzuarbeiten, welches anhand von zwei Beispielen abgearbeitet wird.
 

FMTI versus SWÖ

 
Sind prozentuelle Erhöhungen umso besser, je höher diese ausfallen? Dieser Frage wird in der Folge ausgehend vom o.g. Einkommensbericht anhand des Kollektivvertrages für die Metalltechnische Industrie (FMTI), der üblicherweise als der „Metaller-Abschluss“ dargestellt wird, obwohl dieser nur der erste von insgesamt sechs ist, und des Kollektivvertrages für die Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ) nachgegangen. Ersterer ist traditionell richtungsgebend für die fünf anderen Kollektivverträge in der Branche, letzterer für eine ganze Reihe von Kollektivverträgen wie z.B. Caritas, Diakonie, mobile Dienste Steiermark usw. usf.
 
Die Gehälter der Beschäftigten im FMTI finden sich in der ÖNACE C (Herstellung von Waren) und betrugen 2021 41.810 Euro. Jene der Beschäftigten in der Sozialwirtschaft finden sich in der ÖNACE Q (Gesundheits- und Sozialwesen) und beliefen sich im gleichen Jahr auf 26.682. Dabei handelt es sich um Medianeinkommen, also jene Einkommenshöhe, unter und über der jeweils 50% der Beschäftigten in der jeweiligen Branche verdienen. Der Vergleichbarkeit halber wird hier mit Bruttoeinkommen gearbeitet.
 
Wenn wir uns die prozentuellen Lohn- bzw. Gehaltserhöhungen ansehen, scheint das Ergebnis eindeutig zu sein. In beiden Jahren hat der SWÖ – teilweise deutlich – besser abgeschlossen als der FMTI.
 
Der SWÖ hat 2022 mit 8% (und einer Mindesterhöhung von 175 Euro, die den Schlechtverdiener*innen bis knapp unter 2.200 Euro brutto mehr als die 8% brachten) abgeschlossen, während der FMTI mit nur 5,4% (und einem Fixbetrag von 75 Euro, der die zentrale Argumentation dieses Textes nur noch weiter verstärken würde) abgeschlossen hat.
 
Der FMTI gilt immer ab 01.11. des Verhandlungsjahres, der SWÖ ab 01.01. des Folgejahres, welches in den untenstehenden Grafiken zwecks Vergleichbarkeit zur Darstellung herangezogen wird. Die Abschlüsse aus 2022 werden als gültig für 2023, jene aus 2023 als gültig für 2024 dargestellt.
 
Der SWÖ hat 2023 mit 9,2% abgeschlossen, während der FMTI mit 8,6% (und einem Maximalbetrag von 400 Euro, was die prozentuelle Erhöhung für hohe Einkommen reduziert) erneut darunterlag. Die untenstehende Grafik zeigt also (eindeutig?), dass der SWÖ-Abschluss in beiden Jahren besser war.

Prozente oder Euro

 
Diese Darstellung blendet allerdings die unterschiedliche Ausgangssituation aus und würde nur dann stimmen, wenn die Beschäftigten in beiden Branchen vor den Kollektivvertragsabschlüssen ein Einkommen in der gleichen Höhe gehabt hätten. Tatsächlich war dem nicht so. Der allgemeine Einkommensbereich für 2021 zeigt uns, dass es dabei einen deutlichen Unterschied gab. Betrugen die Bruttoeinkommen im Median für den FMTI 41.810 Euro, lagen diese im SWÖ bei nur 26.682 Euro.
 
Diese einfache Tatsache macht für die Bewertung prozentueller Abschlüsse einen massiven Unterschied. Wie die untenstehende Grafik zeigt, haben die Abschlüsse für die Jahre 2023 und 2024 jeweils dazu geführt, dass die Löhne und Gehälter im FMTI trotz jeweils (einmal sogar deutlich) geringerer prozentueller Erhöhungen auf das Jahr gerechnet stärker gewachsen sind.
 
 
2023 (selbst ohne den Fixbetrag, der den Unterschied um 1.050 Euro erhöhen würde) um rund 120 Euro und 2024 um etwa 1.140 Euro. Wir sehen: Höhere prozentuelle Abschlüsse führen nicht unbedingt dazu, dass die davon betroffenen Kolleg*innen tatsächlich mehr Geld am Konto haben! Im Gegenteil: Höhere prozentuelle Abschlüsse können sogar dazu führen, dass der Abstand zu schon zuvor besserverdienenden Branchen, in denen die Lohnerhöhung prozentuelle geringer ausfällt, noch größer wird.
 
Damit der Abstand zwischen FMTI und SWÖ nicht Jahr für Jahr noch größer wird, hätte es für letzteren 2023 einen Abschluss in der Höhe von rund 12,4% geben müssen, und für 2024 von etwa 13,5% – immer gerechnet auf Basis der Ausgangswerte von 2021. Die Abschlüsse hätten also um 7 bzw. 4,9 Prozentpunkte höher ausfallen müssen, nur damit die Gehaltsschere zwischen FMTI und SWÖ nicht noch weiter aufgeht.
 
Bei dieser handelt es sich nicht nur einfach um eine zwischen zwei Branchen, sondern um eine zwischen zwei zentralen Kollektivverträgen für Männer (FMTI) und SWÖ (als Leitkollektivvertrag des privaten Sozial- und Gesundheitsbereichs. Kollektivvertragsabschlüsse in diesen beiden Branchen haben also eine entscheidende Auswirkung auf den Gender Pay und Pension Gap. Jeder Kollektivvertragsabschluss, der dazu führt, dass diese beiden zentralen Treiber von Frauenarmut, materieller und sozialer Benachteiligung von Frauen und der Unmöglichkeit, aus Gewaltbeziehungen zu fliehen, nicht kleiner werden, ist ein schlechter Kollektivvertragsabschluss.
 

Mit was zahlst du?

 
Ich jedenfalls zahle jede meiner Rechnungen mit Geld. Selbstverständlich ist für die Summe, über die ich verfügen kann, entscheidend, wie hoch der Abschluss des Kollektivvertrages, der für mich gilt, in Prozenten ausfüllt. Allerdings nur indirekt. Direkt ist für mich einzig entscheidend, wie viel Geld ich bekommen. Es geht also darum, wie viel der jeweilige Kollektivvertragsabschluss für dich und mich in Euro ausmacht.
 
Manche werden das als Plädoyer für eine ehrlichere Darstellung von Kollektivvertragsabschlüssen verstehen. Das hoffe ich.
 
Noch wichtiger ist für mich allerdings, dass künftig bei jedem Kollektivvertragsabschluss berücksichtigt wird, wie sich dieser auf die Gehaltsunterschiede zwischen den Branchen, den Geschlechtern sowie die Gehaltsdifferenz zwischen hohen und niedrigen Gehältern auswirken. Für mich als Betriebsrat und Gewerkschafter ist jeder Kollektivvertragsabschluss, der nicht zu deren Verringerung beiträgt, ein schlechter Abschluss. Darum trete ich seit längerem für Fixbeträge statt prozentuelle Erhöhungen ein. Denn jede und jeder von uns muss mit Euros zahlen.

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