Der Medienmanager Gerhard Zeiler hat ein Buch über die Sozialdemokratie geschrieben. Von manchen wird es als Bewerbungsschreiben für die Funktion des Parteivorsitzenden angesehen. Er bestreitet dies entschieden. Ist auch besser so, da seine Positionen keinen Fortschritt gegenüber dem dritten Weg darstellen.
Die Familie und Sinowatz
Stark ist das Buch, wenn er von seiner Familie erzählt, z.B. dem Großvater, der als gelernter Drucker von Jugend an in der Gewerkschaftsbewegung aktiv war und Tränen in den Augen hatte, als Franz Jonas zum Bundespräsidenten gewählt wurde. Oder wenn er von der Vaterfigur Fred Sinowatz erzählt. Über dessen Credo sagt er: „Er nahm sich selbst nie wichtig, stellte immer das Resultat in den Vordergrund.“ (S. 45) Zu Unrecht sei Sinowatz unterschätzt worden, weil er darauf hinwies, dass „die Welt, in der wir leben, vielschichtig und komplex ist“. (S.49) Seine Einschätzungen zu anderen Persönlichkeiten wie Franz Vranitzky, Gerhard Schröder, Angela Merkel oder Emanuel Macron muss man nicht zu hundert Prozent teilen.
Man gut verstehen, wenn er nach der Schilderung seiner Teilnahme an Protesten gegen den Vietnam-Krieg konstatiert: „Es gab allerdings kein Ereignis, das mich mehr politisierte als der Putsch vom 11. September 1973 gegen die Regierung Salvador Allendes in Chile.“ (S. 42)
Vom Neoliberalismus infiziert
Aber warum übernimmt er dann neoliberale Ansichten, wo er doch das Ereignis beklagt, wo der Neoliberalismus seine hässlichste Fratze gezeigt hat? Unter dem Titel „Neudefinition der Staatsaufgaben“ stellt er beispielsweise die Überlegung an: „Auch im Sozialbereich sollten wir- vorsichtig – den Grundsatz überdenken, dass alle Sozialleistungen für jede Bürgerin und jeden Bürger gleich sein müssen. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass gewisse Sozialleistungen, wie etwa Familienbeihilfen, nur für wirklich Bedürftige vorgesehen sind.“ (S. 162f.) Diese Haltung ist nicht sozialdemokratisch, sondern konservativ und neoliberal. Letztere wollen Sozialleistungen nur für jene, die sonst verhungern oder auf der Straße landen würden. Beim sozialdemokratischen Zugang steht beim Sozialsystem im Vordergrund, dass jene, die nicht auf Sozialleistungen angewiesen sind, diese durch ihre angemessene Steuerleistung finanzieren. Dass der neoliberale Virus noch nicht die völlige Kontrolle übernommen hat, zeigt das Bekenntnis von Zeiler zu einem progressiven Steuersystem, das auch Erbschaften besteuert. Allerdings ist diese Haltung kein sozialdemokratisches Alleinstellungsmerkmal, sondern im klassischen Liberalismus ebenfalls selbstverständlich.
Macron statt Corbyn
Den Kopf muss man schütteln, wenn er Macron für sein „fortschrittliches sozial-liberales Konzept“ (S. 115) lobt und der Corbyn der traditionalistischen Auffassung des „Zurück zur reinen Lehre“ bezichtigt (Ebd.). Zurück hinter das Godesberger Programm der SPD ist ein Schritt in die Zukunft der Sozialdemokratie, da der dritte Weg gezeigt hat, wer dem Kapitalismus Zugeständnisse macht, führt die Sozialdemokratie in die Bedeutungslosigkeit.
Ein Programm für die SPÖ
Große Teile des Buches befassen sich damit, der SPÖ programmatische Ratschläge zu erteilen. Gleich zu Beginn empfiehlt er seiner politischen Heimat die Verortung als „Partei der linken Mitte“ (S. 12), die sich auf Jugend und Frauen fokussiert, sowie unter Führung von Rendi-Wagner eine Minderheitsregierung von Kurz akzeptieren solle – wenn bloß ein Nettomindestlohn von 1.700 Euro und eine CO2-Abgabe mit sozialem Ausgleich ungesetzt wird (S. 15).
Dazu muss erstens gesagt werden, die Rede von der politischen Mitte eine psychologische Funktion erfüllt: Die Angst vor den Extremen nehmen. Eigentlich gibt es, mit Isolde Charim gesprochen, die politische Mitte nicht. „Sie wird von jenen hergestellt, die sich durchsetzen.“
Zweitens ist ihm beizupflichten, dass gerade bei den Frauen und der Jugend die Chancen der SPÖ liegen. Schade also, dass Rendi-Wagner erstere als Wähler leider nicht genügend überzeugt hat.
Drittens: Pro und Contra für eine Minderheitsregierung Kurz sind reine strategische Spiele, die die SPÖ in der schwierigen aktuellen Situation nicht weiterbringen.
An späterer Stelle formuliert er als Grundpfeiler einer sozialdemokratischen Politik: 1. Zum Frieden in der Welt beitragen. 2. Der zunehmenden Ungleichheit entgegentreten. 3. Den fortschreitenden Klimawandel bekämpfen. 4. Die Digitalisierung aktiv gestalten. 5. Bildung für alle zu einem zentralen politischen Thema machen. 6. Das Thema Sicherheit nicht den Rechtspopulisten überlassen. 7. Für einen starken und effizienten Staat eintreten. 8. Für ein starkes Europa eintreten. Hier kann man durchaus ein Stück des Weges mit ihm gehen. Aber ein klares Veto steht an, wenn er sagt: „Es geht um die Reform des kapitalistischen Systems, nicht um seine Überwindung.“ (S. 31) Die vielen Jahre als Manager im Medienbetrieb hat ihn vergessen lassen, was er in der Sozialistischen Jugend gelernt hat.
Migration
Zur Migration stellt er zehn Thesen auf, denen die SPÖ zu folgen habe. Diese sind großteils eine Gratwanderung zwischen Humanismus und Populismus, da er sich zum Recht auf Einwanderung bekennt, aber ohne Bedenken unter Berufung auf Sarah Wagenknecht konstatiert: „Wer die Gastfreundschaft verletzt, hat das Gastrecht verloren.“ (S. 126) Bejaht er somit auch eine Abschiebung von Straffälligen nach Afghanistan? Die Forderung nach einem Marshallplan für Afrika verdient jedoch die uneingeschränkte Zustimmung.
SPÖ neu
Im letzten Teil geht er explizit auf das politische Programm für eine neue SPÖ ein: 1. Die SPÖ ist die Schutzpartei der sozial Schwächeren, die Partei des sozialen Ausgleichs und der sozialen Gerechtigkeit. Gleich der erste Teil ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Der Begriff „sozial Schwache“ ist erstens schlecht gewählt, weil die damit gemeinten nicht „sozial“ schwach sind, sondern aufgrund prekärer finanzieller Verhältnisse einer adäquaten gesellschaftlichen Teilhabe verlustig gehen. Selbstverständlich muss die Sozialdemokratie für die damit gemeinten da sein – denn sonst ist es niemand. Aber das eigentliche Ziel der Sozialdemokratie ist, dass Menschen nicht unter solchen Bedingungen leben müssen. Wenn er im Kampf gegen Armut einen gesetzlichen Mindestlohn fordert, wünscht man sich, er könnte sich mit seinem Großvater darüber austauschen, warum das Aufgabe von Gewerkschaft und Sozialpartnerschaft ist.
Verstanden hat Zeiler allerdings, warum die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen nicht das Allheilmittel für ein Sozialsystem der Zukunft bereithält.
2. Die SPÖ steht im Kampf gegen den Klimawandel … an vorderster Front. „Denn wenn die SPÖ sich nicht in die erste Reihe des Kampfes gegen den Klimawandel stellt, wird sie – völlig zu Recht – keine Option für die Jugend bei künftigen Wahlgängen mehr sein.“ (S. 150f.) In diesem Punkt ist im vollkommen zuzustimmen.
3. Die SPÖ ist eine wirtschaftsfreundliche Partei („Weil man die Kuh, die man melken will, nicht schlachten soll.“) Geschickt greift Zeiler hier auf Anton Benya zurück, um zu kaschieren, dass seine Ansichten in diesem Punkt wie die eines WKÖ-Funktionärs klingen: für Arbeitszeitflexibilisierung, gegen Ladenschlusszeiten. Den Slogan „Menschen statt Konzerne“ erachtet der Manager eines internationalen Medienkonzerns als „falsche Polarisierung“ (S. 154), die keine Wählerstimmen bringt. Die SPÖ möge durchaus eine „wirtschaftsfreundliche“ Partei sein – aber gewiss darf sie dem Kapitalismus nicht freundlich gesinnt sein.
4. Die SPÖ ist … die Partei der Bildungsreformen. Die gemeinsame Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen und die Ganztagsschule sind langjährige Forderungen der Sozialdemokratie. Die Forderung nach einem zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr ist unter den PädagogInnen weit verbreitet, aber kein „sine qua non“ sozialdemokratischer Bildungspolitik.
5. Die SPÖ steht für Sicherheit und den Kampf gegen Kriminalität. Da von rechter Seite die Angst vor Kriminalität erfolgreich instrumentalisiert wird, sieht sich Zeiler genötigt, zu behaupten: „Zum Begriff Sicherheit muss sich die Sozialdemokratie ohne Wenn und Aber bekennen.“ (S. 157) Hier gibt das Sprichwort zu bedenken: „Warum zum Schmiedl gehen, wenn man den Schmied haben kann?“
6. Es ist eine Neudefinition der Staatsaufgaben und auch der Staatsaufgaben erforderlich. Zu diesem Punkt wurde schon an früherer Stelle angemerkt, dass sich hier ein deutlicher Ausfluss von neoliberaler Ideologie bemerkbar macht. Der Staat ist für die Sozialdemokratie eben nicht auf die Schutz- und Kontrollfunktion zu reduzieren. Kurz blitzt bei Zeiler auch ein Keynesianisches Momentum auf, wenn er den „Investitionsauftrag“ (S. 161) des Staates einmahnt.
Schlussfolgerung
Kurz vor dem Ende fordert Zeiler: „Die SPÖ muss wieder Selbstbewusstsein ausstrahlen und mit einer Portion Optimismus die Zukunft gestalten wollen. Will sie Wahlen gewinnen, muss sie die Debatte über die Zukunft führen.“ (S. 164) Leider muss man aufgrund seiner Ausführungen in diesem Buch zu dem Schluss kommen: Er wäre wohl nicht der Richtige an der Spitze, da er in erster Linie das wiederholt, was wir schon so oft von den Vertretern des dritten Weges gehört haben.
Gerhard Zeiler
Leidenschaftlich rot. Darum mehr Sozialdemokratie
167 Seiten. EUR 22,–
Brandstätter. Wien 2019.
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