Gelbe Westen in Frankreich

SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen gegen Notstandspolitik erschüttert über das Demokratieverständnis von VP-Nehammer

Wenn der Generalsekretär einer österreichischen Parlamentspartei die Solidarisierung der Sozialistischen Jugend Wien mit „Demonstranten in Frankreich zutiefst bedenklich findet“, müssen wir ernsthaft daran zweifeln, dass der Herr verstanden hat, was Demokratie ist. Was hat die SJ verbrochen?

SJ Wien solidarisiert sich mit Forderungen der Gelbwesten in Frankreich

In einem Beitrag auf Facebook haben die GenossInnen folgendes geschrieben: „Genauso wie in Österreich durch die Schwarz-Blaue Regierung, wird in Frankreich Politik gegen die Interessen der arbeitenden Menschen gemacht. Wir unterstützen ihre Forderungen nach Beendigung von Obdachlosigkeit, höherem Mindestlohn, einem solidarischeren Pensionssystem, höhere Besteuerung von Großkonzernen, bessere Sozialleistungen, welche auch an die Inflation angepasst sind, Gleichstellung von ausländischen Arbeitern an französische, Beendigung von Steuergutschriften für Kapitaleinnahmen und Großunternehmen“.

Ob es Herrn Nehammer mehr ärgert, dass sich jemand in Zeiten des von seiner Partei veranstalteten allgemeinen Sozialabbaus erdreistet, höhere Sozialleistungen zu fordern oder aber, dass es doch tatsächlich junge Menschen gibt, die die Pläne von SchwarzBlau durchschauen, sei dahingestellt.

Tatsächlich schiebt er wieder einmal Argumente vor, die einzig dazu dienen sollen, jene, die unter der Regierung seiner Partei leiden, zu spalten. „Seit Tagen brennen in Frankreich Geschäfte und Autos, es herrscht eine massive Zerstörungswut und Ausnahmezustand in vielen Städten. Wenn sich die SPÖ-Jugend jetzt auf Social Media mit diesen Gewaltexzessen der Gelbwesten-Bewegung solidarisiert, toleriert sie damit auch bewusst Hunderte Verletzte und Zerstörungen in Milliardenhöhe. Das ist zutiefst bedenklich und deutlich abzulehnen“, schrieb er in einer Aussendung am 10.12.2018.

Fakten bitte, Herr Nehammer!

Tatsächlich ist es bei den politischen Protesten in Frankreich zum Einsatz von Aktionsformen gekommen, die für uns in Österreich radikal erscheinen, in Frankreich jedoch seit der bürgerlichen Revolution 1789 zum politischen Alltag gehören. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass die Bewegung der gelben Westen in allen Meinungsumfragen von überwältigenden Mehrheiten der Bevölkerung unterstützt wird. Wenn Herr Nehammer die internationale Presse verfolgen würde, wüsste er, dass in Frankreich als Folge des Sozialabbaus seit vielen Jahren nahezu jede Nacht Autos brennen. Doch das kann er nicht zugeben, sonst müsste er auch sagen, dass das auch hierzulande die Folge der Politik seiner Partei sein könnte. Oder er lügt bewusst, um damit eine neue Protestform zu diskreditieren, die auch in Österreich auf Nachahmung stoßen könnte.

Noch dramatischer aber ist es, dass Herr Nehammer offenbar nicht lesen kann. Mit keinem Wort hat sich die SJ mit Gewaltexzessen solidarisiert oder Verletzte toleriert, sondern mit den politischen Forderungen der Bewegung der Gelbwesten. Ein Generalsekretär, der nicht zwischen Form und Inhalt unterscheiden kann – na gute Nacht! Oder lügt Nehammer auch hier bewusst und versucht dadurch auf dem Rücken von Armen in Frankreich und Jugendlichen in Österreich die Politik seiner Partei zu rechtfertigen, die irgendwann auch in Österreich zu Hungerrevolten führen wird müssen?

Gelbe Westen

Bei der Bewegung in Frankreich handelt es sich um den spontanen und politisch unorganisierten Ausdruck einer politischen Stimmung von Massen, denen es reicht, dass sie nicht genug für ein menschenwürdiges Leben haben. Das Fass zum Überlaufen brachte eine geplante Erhöhung der Steuern auf Treibstoffe. Irgendwann können die Menschen nicht mehr anders und wehren sich. Mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen. In diesem Fall mit Mitteln, die ein alltäglicher Teil der politischen Kultur Frankreichs sind.

Gleichzeitig bekommt Nehammer für seine verzerrte Darstellung der sozialen Realität in Frankreich Rückendeckung vom Boulevard, der hierzulande seit Tagen gegen die Bewegung der Gelbwesten agitiert und diese als KrawallmacherInnen verunglimpft. Nichts könnte falscher sein. Wie bereits beschrieben, handelt es sich um Menschen, die keinen anderen Ausweg mehr sehen.

Dass es bei einer spontanen Bewegung ohne politische Führung zu politischen Verirrungen und Verwirrungen kommt, darf nicht weiter verwundern. Es ist vielmehr normal. Dass Menschen, die Mitte des Monats nicht mehr wissen, wie sie ihre Kinder am nächsten Tag ernähren sollen, ihre Wut in Widerstand (und teils auch sinnlose Zerstörung) verwandeln, ist für alle, die die Geschichte kennen, nicht weiter erstaunlich. Wer von uns – mich selbst eingeschlossen – würde nicht vor Wut fast zerplatzen und zumindest stehlen gehen, wenn die eigenen Kinder an Hunger leiden? Wer das nicht tut, der/die hat jede Menschlichkeit verloren!

Und dann gibt es noch jene, die Nehammer von Links Schützenhilfe leisten, indem sie immer wieder darauf hinweisen, dass bei den Gelbwesten auch Mitglieder des Rassemblement (ehemals Front) National mitmischen. Stimmt. Das zeigt, dass soziale Bewegungen oftmals mit politischer Verwirrung beginnen, was aber in Anbetracht der bewussten Depolitisierung der Massen durch die Politik seit Jahrzehnten nicht weiter verwundern darf. Das zeigt weiters dass nicht alle, die die Rechte wählen, auch Rechte sind. Viele davon sind einfach nur verzweifelt. Daraus gilt es, Lehren zu ziehen!

Der Erfolg der Rechten ist immer Ausdruck des Versagens der offiziellen ArbeiterInnenbewegung, ihrer Parteien und Gewerkschaften. Diese haben in Österreich und in Frankreich darin versagt, die Lebensbedingungen der Massen zu verteidigen, ihnen einen politischen Ausweg zu zeigen und Möglichkeiten zum Handeln anzubieten. In solchen Situationen wird es oft zu spontanen Ausbrüchen von Gewalt und Frust kommen.

Wenn Herr Nehammer tatsächlich etwas gegen die Ausbrüche auf Frankreichs Straßen tun will, dann soll er dem politischen Busenfreund seines Kanzlers Macron sagen, dass er den fortschreitenden Sozialabbau stoppen muss. Wird nicht passieren, da er damit ja zugeben müsste, dass die Politik seiner eigenen Partei genauso falsch ist wie jene dieses historisch betrachtet unbeliebtesten aller französischen Präsidenten.

Den angeblichen Linken, die diese Bewegung kritisieren, können wir nur sagen, dass es nie zu sozialen Bewegungen kommen wird, wie sie sie sich wünschen. Diese werden am Anfang immer von politischer Verwirrtheit und oft auch falschen Methoden geprägt sein – die Autos von anderen ArbeiterInnen anzuzünden, wird sicher niemandem etwas bringen. Gleichzeitig wird sich das nur ändern, indem diese selbsternannten SittenwächterInnen linker Korrektheit aus ihren Elfenbeintürmen rauskommen und sich ihre Finger in der rauen Realität echter sozialer Bewegungen schmutzig machen. Dort können sie dann mit Worten um eine richtige politische Linie und die für deren Umsetzung erforderlichen Methoden kämpfen.

Das ist der Weg, den zahlreiche Gewerkschaftsmitglieder in Frankreich gehen. Sie treten mit den Verzweifelten, die Le Pen gewählt haben, in Diskussion, um diese davon zu überzeugen, dass eine rechte Politik ihnen keinen Ausweg aus der Misere bieten wird. Die faschistischen Kader jedoch werden aus den Protesten hinausgeworfen. Herr Nehammer mag das als„Gewaltexzess“ sehen. Wir hingegen sind der Meinung, dass FaschistInnen kein Platz für ihre Propaganda eingeräumt werden darf. Auch in Österreich würden wir sie nicht auf unseren Demonstrationen dulden. Die Verwirrten hingegen versuchen wir auch hierzulande zu überzeugen, statt uns vor lauter Angst, uns die Finger schmutzig zu machen, im Elfenbeinturm zu verkriechen.

Bevor ich’s vergesse: Herr Nehammer duldet ja faschistisches Gedankengut nicht nur auf Demonstrationen, sondern sogar in so mancher Ministerialkanzlei seiner Regierung. Klar muss er dann jene, die gegen dieses auftreten, verunglimpfen. Und das ist es, was ihn wirklich an der SJ stört.

Vor allem aber spielt Herr Nehammer eine aktive Rolle bei vielen Formen von Gewalt in Österreich – der Gewalt der Worte gegen Flüchtlinge und MigrantInnen, der strukturellen Gewalt in Form der Verarmung breiter Teile der arbeitenden Menschen, Jugend und PensionistInnen durch die Kürzung von Sozialausgaben, der Einschränkung des Zugangs zu Gesundheitsleistungen, der Kürzung der Mindestsicherung, der Abschaffung der Notstandshilfe, durch den von seiner Partei zu verantwortenden Tod von tausenden Flüchtlingen auf dem Mittelmeer.

Ganz erhlich: Was ist die schlimmere Form von Gewalt: Eine zerschlagende Fensterscheibe oder ein hungerndes Kind in Österreich?

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