Das kommentierte Rechtsextremismus-Barometer des Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW)

Andreas Kranebitter und Johanna Willmann haben November 2024 das Rechtsextremis-Barometer des Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) präsentiert. Bei einer Online-Befragung im April und Mai 2024 wurden 2.198 Personen der österreichischen Wohnbevölkerung im Alter zwischen 16 und 75 Jahren befragt. Beim ersten Durchlesen der “Summary” erinnerte ich mich spontan an die Unterlagen, wie rechtspopulistische Argumente entlarvt werden können und wie mit Vorurteilen umgegangen werden kann.

  • Eine Mehrheit der Befragten erachtet eine umfassende Remigration für notwendig.
  • Viele fühlen sich fremd im Land wegen der in Österreich lebenden Muslim:innen.
  • 15% – 23% der Befragten vertreten antisemitische Ansichten.
  • 50% glauben von “den Medien” systematisch belogen zu werden und dass die österreichische Bevölkerung langfristig durch zugewanderte Personen ersetzt werde.
  • 50% stimmen der Aussage zu, dass man “gefährliche Menschen” einsperren können soll, bevor sie Straftaten begangen haben.

Dieser Artikel ist ein Versuch, einige Inhalte des Rechtsextremismus-Barometers darzustellen. Ich wechsle von den Studienergebnissen zu gesellschaftlichen Ereignissen und Inhalten der letzten Jahrzehnte. Ein Versuch von mir, die weiteren Entwicklungen der rechtspopulistischen und rechtsextremen Stömungen, dem gegenüber zu stellen. Ausserdem versuche ich solidarische, sozialdemokratische und gewerkschaftliche Handlungsfelder darzustellen.

Mit Jörg Haider spülte es 1986 deutschnationale Elemente und die weitere Manifestierung des rechtsextremen Lagers an die poltische Öffentlichkeit Österreichs Jörg Haider gehört meiner Generation an. Wir sind in einer politischen Landschaft aufgewachsen, die vom Verfall politischer Überzeugung geprägt war. Das „Sozialistische“ wanderte zunehmend aus der sozial demokratischen Partei aus, das Honoratioren- und Potentatentum der bürgerlichen Partei konnte nur für Strenggläubige etwas „Christliches“ an sich haben. Was blieb, war eine politische Hülsensprache, Beteuerungen und Behauptungen, die zumeist von der Wirklichkeit widerlegt wurden. Ein Teil meiner Generation hat sich von diesem sprachlichen und optischen Erscheinungsbild des „Politischen“ angewidert abgewandt und versuchte, politisch „zu sein“. Haider ist einen anderen Weg gegangen. Er übertrumpfte seine Lehrmeister. […] Der Bodensatz dieses Gequatsches entspricht faschistischen Denk- und Sprachstrukturen. […] er betreibt vielmehr die Gleichzeitigkeit sich ständig widersprechender Aussagen.“1

Die Studie versucht, das rechtsextreme Potential als Syndrom2 von antidemokratischen Einstellungen und der der Ungleichwertigkeit der österreichischen Wohnbevölkerung abzuleiten. Dabei wird das rechtsextreme gesellschaftliche Bedrohungspotenzial Österreichs untersucht.

Die Führerkultur in Österreich

Die Zustimmung zu einem “Führer, der Österreich zum Wohle aller mit starker Hand regiert”, wurde in Österreich erheblich öfter bejaht – siehe Darstellung rechts. Auch die Ansicht, Österreich3 sei “durch die Ausländer:innen in einem gefährlichen Ausmaß überfremdet” und auch die den Antisemitismus messenden Fragen und Aussagen, dass “der Einfluss der Juden auch heute noch zu groß” sei, finden in Österreich wesentlich höhere Zustimmungswerte wie in Deutschland.

Dieser Hang zum »starken Mann« hat seine Wurzeln in der österreichischen Monarchie, im autoritären Ständestaat und natürlich in den Jahren des Nationalsozialismus, auch in der fehlenden „Re-Education“ nach 19454. Ausserdem gibt es in vielen Institutionen und Organisationen nach wie vor patriarchale und hierarchische Strukturen, in denen Mitwirkung oder Mitenscheidung der Mitglieder selten bis gar nicht gegeben ist.

Es braucht entsprechende kämpferische Interessenvertretungen mit mündigen Mitgliedern mit demokratischem Bewusstsein. Die Gewerkschaften bieten kaum aktive Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten an. Fast alle ihrer Bildungsmaßnahmen sind dem Kader oder Funktionär:innen vorbehalten. Für Mitglieder gibt es selten, eigentlich fast gar keine interessenspolitische Weiterbildungsmöglichkeit. Dieses Betätigungsfeld wird den Rechten, der FPÖ und dubiosen Verschwörungsvereinen überlassen mit ihren scheinbaren Beteiligungsmöglichkeiten. Eine klassische Strategie des Rechtsextremismus. Erste Brüche werden mittlerweile klar sichtbar. Im Betrieb wird noch der “rote Betriebsrat” gewählt, in der Gemeinde die FPÖ.5

Soziale Sicherheit für unsere Leut‘ stand einst zu lesen. Und: Sie sind gegen IHN. Weil ER für EUCH ist. Schon lange ein Klassiker der etablierten rechten Kraft in Österreich, der FPÖ.

Wenn wir das Feld hier nicht den Rechten überlassen wollen, braucht es mehr als dringend gewerkschaftliche Bildungsmaßnahmen eingebettet in Organisationesentwicklungsprozesse hin zu mehr internen Beteiligungs- und Mitbestimmungsprozessen. Dazu braucht es Führungsebenen in den Gewerkschaften, die mutig und mit großem Vertrauen die Funktionär:innen und Mitglieder aktivieren.

Verbreitung von rechtsextremen Einstellungen in Österreich

Soziale Dominanzorientierung (SDO)

Diese misst die Stärke der Präferenz eines Menschen für eine hierarchisch geordnete Gesellschaft. Menschen mit einem hohen Maß an SDO präferieren eine möglichst hierarchische Gesellschaftsordnung, wohingegen Menschen mit einem geringen Maß an SDO eher Gleichheit zwischen allen Menschen und flache Hierarchien bevorzugen.6

Das Balkendiagramm zeigt sehr deutlich, dass die österreichische Wohnbevölkerung überwiegend egalitär eingestellt ist und nur ein geringer Prozentsatz eine soziale Dominanzorientierung aufweist. Bei drei der vier positiv formulierten Fragen stimmten zwischen 12 % und 29 % eher oder voll und ganz zu.

Eine Ausnahme bildet die vierte Aussage („Zu viele Menschen führen heute ein verweichlichtes Leben“), bei der mit 53 % mehr als die Hälfte zustimmte. Bei einigen Diskussionen der letzten Zeit hörte ich öfters “Die Jungen sind nicht bereit länger als 40 Stunden zu arbeiten – das Arbeitslosengeld ist zu hoch, die wollen ja gar nicht arbeiten” oder diese Ansichten werden mit rassistischen Ansichten vermischt.

Bei den drei negativ formulierten Aussagen stimmten nur zwischen 4 % und 8 % eher oder überhaupt nicht zu und weisen somit eine erhöhte soziale Dominanzorientierung auf.

Wie positiv oder negativ sieht die österr. Wohnbevölkerung die Begriffe – Volk – Rasse – Nation – Heimat?


Die Begriffe „Volk“, „Nation“, und „Heimat“ werden überwiegend als unproblematisch wahrgenommen und von mehr als der Hälfte der Befragten als sehr oder eher positiv beurteilt. Anders verhält es sich mit dem Begriff „Rasse“, der kritischer gesehen und von 52 % als sehr oder eher negativ, einem Drittel (35 %) als weder negativ noch positiv und 14 % als sehr oder eher positiv beurteilt wird. Bei jenen, die ausgeprägt rechtsextreme Einstellungen haben, liegt diese Zustimmung mit 37 % deutlich höher.7

Es wäre natürlich interessant zu wissen, inweit die Befürworter:innen des Begriffes “Heimat” vom rechtspopulistischen Heimatbegriff geprägt sind. Die Blut- und Boden-Ideologie, getragen von Volkslied und Volkstum, weiter erzählt in Heimatfilmen und Heimatkunst ist oft die Grundlage von „Ausländer:innenfeindlichkeit“. 8 Eine wesentliche FPÖ-Strategie ist, dass die “Heimat bedroht” sei. Ähnliche Strategien haben die Rechten mit den positiv besetzten Begriffen Nation und Volk.

Völkische Ideen


Diese Aussage wird von der überwiegenden Mehrheit abgelehnt (64 %), trifft aber immerhin bei 10 % auf offene Ohren. Innerhalbder Gruppe mit ausgeprägt rechtsextremen Einstellungen findet diese Aussage jedoch bei 58 % Zustimmung.9

Ein guter Österreicher oder gute Österreicherin?

Ohne Zuwanderung würde Österreichs Bevölkerung bereits seit einiger Zeit schrumpfen, das Fachkräfteangebot wäre noch weniger gesichert und wir hätten weniger tolle Menschen im Land. In den letzten Jahren und Jahrzehnten wurde die Hetze der FPÖ und der ÖVP gegen Migrant:innen, flüchtende Menschen und Nichtösterreicher:innen immer erbärmlicher und verrohter. Aus dem Kalkül der Stimmenmaximierung bei Wahlen wurde die Gruppe der „Fremden” zur Projektionsfläche von geschürten Ängsten. 10

Dazu passt auch gut, dass „Ausländer:innen“ in verschiedene Gruppen gespalten werden: Fußballspieler:innen, Diplomat:innen und Künstler:innen sind natürlich die „guten“ Ausländer:innen. Die Deutschen sind überhaupt keine Ausländer:innen. Die Personen, die ihre tägliche Arbeit auf der Baustelle verrichten, im Krankenhaus – ohne Ausländer:innen würde auch unser Gesundheitssystem nicht funktionieren – in der Fabrik usw., das sind die „schlechten“ Ausländer:innen.11 Flüchtlinge und Asylwerber:innen sind der Willkür und Hetze der rechtspopulistischen Parteien ausgesetzt. Gewerkschaften und Sozialdemokratie, die sich zumindest in Worten zum Internationalismus und internaternaler Solidarität bekennen, agieren halbherzig, schauen weg oder biedern sich den Rechtspopulist:innen an.

Menschenrechte sind unteilbar und müssen auch in der Asylfrage ohne Wenn und Aber geachtet werden.12

Auch hier sind “unsere” Organisationen gefragt. Jeden Tag ein Beispiel gelungener Intergration, sei es im Betrieb und die großartige Mithilfe von Menschen in Notsituation (Hochwassserkatastrophe): Es gibt zahlreiche Möglichkeiten. Es gibt tolle Ideen vonBetriebsrät:innen, die östereichweit umgesetzt werden könnten. Solidarische Politik braucht solidarische Gefühle und nicht nur Fakten. Das bedeutet, dass die Gewerkschaften ihr gesellschaftliches Betätigungsfeld wieder aktivieren müssen und es nicht den Rechten überlassen dürfen.

Solidarität als Grundwert der Gewerkschaftsbewegung ist für eine demokratische Gesellschaft geradezu lebensnotwendig und sie basiert auf der Fähigkeit der Empathie.13 Dazu braucht es vielfache Initiativen und auch die Bereitschaft sich der Diskussion auf breiter Ebene zu stellen.

„Die Gesellschaft verliert an Vielfalt und Zusammenhalt, wenn sie Menschen mit Migrationsbiografie und deren Familien systematisch ausgrenzt.“14

Zuwanderung und Islamophobie

Dass die Integration von zugewanderten Personen eine Bereicherung für beide Seiten darstellen kann, wird generell von 42 % der Befragten bejaht. Bei Personen mit ausgeprägt rechtsextremen Einstellungen sind es hingegen nur 23 %. Schließlich wurde noch eine Frage gestellt, die das von Rechtsextremen vertretene Konzept des Ethnopluralismus15 berührt, also die Segregation16 der Ethnien, um jeder Ethnie die eigene kulturelle und nationale Identität zu bewahren: Zugewanderte Personen sollten in eigenen Wohnvierteln wohnen, wo sie unter sich bleiben können. Dieser Aussage stimmten nur 11 % der Befragten zu, innerhalb der Gruppe der Befragten mit ausgeprägt rechtsextremen Einstellungen jedoch 38 %.

Schließlich wurden zu diesem Themenkreis noch drei Fragen speziell zu Muslimas und Muslimen gestellt. Auch wenn die Hälfte der Bevölkerung eine umfassende Remigration goutiert, findet die Idee, dass Muslimas und Muslimen die Zuwanderung nach Österreich untersagt werden soll, in der breiten Bevölkerung bei ’nur‘ knapp einem Drittel der Befragten (29 %) Zustimmung, bei Menschen mit ausgeprägt rechtsextremen Einstellungen jedoch bei gut zwei Drittel (69 %). Weiters geben jedoch 56 % der Befragten an, dass sie sich durch die vielen Muslimas und Muslimen in Österreich manchmal richtig fremd im eigenen Land fühlen, bei Befragten mit ausgeprägt rechtsextremen Einstellungen sind es sogar 81 %. Wenn diese Werte mit der Angst um Arbeitsplätze verglichen werden, die innerhalb der Gruppe der Befragten mit ausgeprägt rechtsextremen Einstellungen von 51 % geteilt wird, unterstreicht das laut den Autor*innen einmal mehr den in der Literatur vielfach geäußerten Befund, dass die Skepsis gegenüber Zuwanderung wesentlich stärker von kulturellen als von ökonomischen Ängsten genährt wird.17  Im Gegensatz zur Schlussfolgerung des Barometers interpretieren wir diese Zahlen so, dass die vorgeblich kulturellen Ursachen tatsächlich eine ökonomische Grundlage haben.

Wenn wir die Grafik 8 näher betrachten, fällt neben der Tatsache, dass Befragte mit ausgeprägt rechtsextremen Einstellungen zu mehr Fremdenfeindlichkeit und antimuslimischem Rassismus neigen, auf, dass sie auch seltener die Antwortkategorie „weder noch” wählen, sondern eher stärkere Meinungen bei diesem Thema äußern.

Die “lieben” Nachbar:innen


Mit Muslimas und Muslime sowie Romnja und Sintizze treten die Befragten am unwilligsten als Nachbar:innen in Kontakt, mit Homosexuellen dagegen bestehen die wenigsten Berührungsängste. Für die Befragten allgemein, sind auch Menschen anderer Hautfarbe verhältnismäßig gern gesehene Nachbar:innen.

Die Integration dieser Menschen in den Arbeitsmarkt bleibt eine große und andauernde Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Der ÖGB bekennt sich in seinem Leitbild zu einer lebendigen Demokratie und solidarischen Gesellschaft. Der Schutz der Menschen- und Grundrechte, der Meinungs- und Glaubensfreiheit sind oftmals im betrieblichen Alltag eine Herausforderung.

Antisemitismus

Die nächsten Fragen erfassen Einstellungen zu dem, was die „Leipziger Autoritarismus-Studie”18 „israelbezogenen Antisemitismus” nennt. Die Aussagen zu den dazu gestellten Fragen finden  bei immer mehr Menschen Zustimmung. Zwischen 22 % und 42 % der Befragten stimmen eher oder voll und ganz zu, dass ihnen die Juden und Jüdinnen durch die israelische Politik immer unsympathischer werden, dass Israels Politik in Palästina genauso schlimm ist, wie die Politik der Nazis im Zweiten Weltkrieg, und dass auch wenn andere Nationen ihre Schattenseiten haben mögen, so doch – die Verbrechen Israels am schwersten wiegen. Tatsächlich ist die Gleichsetzung aller Jüd:innen mit Israel zutiefst antisemtisch und verkennt vollkommen, dass es unter vielen von ihnen, ja auch in Israel selbst, massive Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung gibt.


Antisemitische Vorfälle in Österreich

Wenn wir die Täter und Täterinnen der jeweiligen Vorfälle nach ihrem politisch-ideologischen Hintergrund betrachten, macht in Österreich noch immer jener Antisemitismus, der laut dem Bericht “rechts, rechtsextrem oder (neo-)nazistisch” motiviert ist, mit 34 Prozent den größten Anteil aus.19

Knapp gefolgt wird dieser von Gruppen und Personen (25%), die “weltanschaulich beziehungsweise religiös dem Islam zuzuordnen sind, was den Islamismus einschließt”, heißt es in dem Bericht. Weitere 23 Prozent waren ideologisch nicht klar zuordenbar. 18 Prozent sind dem linken bzw. linksextremen Antisemitismus zuzurechnen, etwa der “antisemitischen BDS-Bewegung und dem Antiimperialismus”, liest man im Bericht.

Die Rechtspopulist:innen in der ÖVP und FPÖ kokettieren mit ihrem “Haberer” Netanjahu und unterstützen seine Politik, die von ultrarechten Abgeordneten vorangetrieben wird, unter dem Deckmantel der Israelunterstützung. Gleichzeitig akzeptieren sie in ihren eigenen Reihen antisemitische Strömungen, Funktionär:innen, die offen antisemitisch agieren, und in diverse Affären verstrickt sind. Wenn wir Linken die Politik von Netanjahu kritisieren und ablehnen, was ja auch in Israel selbst fast täglich geschieht, werden wir in die Nähe des Antisemitismus gerückt. Ein schwieriges Terrain.

Doppelt schwierig wird es für mich. Ich habe mit der Römisch-Katholischen-Kirche nichts am Hut. Diese Amtskirche ist mir zutiefst zuwider. Allerdings habe ich viele tolle Christ:innen kennengelernt, deren Einsatz und Engagement für eine bessere Welt ich bewunderswert finde. Deshalb habe ich auch so meine Schwierigkeiten mit der Israelitischen Kultusgemeinde.

Es ist eines der Leitprinzipien bei Aktivitäten im Verein Rote Spuren, in dem ich aktiv bin, auf den herrschenden und vergangenen Antisemitismus und auf die fürchterlichen Ereignisse der Shoah hinzuweisen.

Grafik 11 zeigt die Zustimmung zu den den Nationalsozialismus relativierenden Aussagen. “Die Verbrechen des Nationalsozialismus sind in der Geschichtsschreibung weit übertrieben worden” und “Der Nationalsozialismus hatte auch seine guten Seiten“. Beide treffen nur auf eine eher geringe Resonanz innerhalb der Gesamtbevölkerung, aber immerhin stimmen den Aussagen zwischen 9% und 12% eher oder voll und ganz zu und 16% beziehungsweise 18% enthalten sich ihrer Meinung („weder noch“). Innerhalb der Gruppe mit ausgeprägt rechtsextremen Einstellungen sind es jedoch mit jeweils 39% deutlich mehr.

Um Akquieszenz20 vorzubeugen, wurde auch eine Frage gestellt, deren affirmative Antwort das Gegenteil von historischer Verklärung – etwa historisches Bekenntnis und Anerkennung des geschehenen Unrechtes – abfragt, nämlich,:Es ist richtig, wenn man versucht, das Unrecht, das Jüdinnen und Juden in Österreich angetan wurde, wiedergutzumachen. Hier stimmen 19% der Gesamtbevölkerung dagegen, innerhalb der Befragten mit ausgeprägt rechtsextremen Einstellungen sogar 37%.21

Verschwörungsmythen


In der Gesamtbevölkerung fällt auf, dass drei Mythen mehrheitlich positiv rezipiert werden. So finden die Aussagen, dass die Bevölkerung von den Medien systematisch belogen wird, dass es geheime Organisationen gibt, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben, und dass die österreichische Bevölkerung langfristig durch zugewanderte Personen ersetzt wird bei circa der Hälfte der Befragten (51% bzw. 47%) eher oder voll und ganz Zustimmung.22

Law and Order


Grafik 13 zeigt die Zustimmung zur Frage „Wo strenge Autorität ist, dort ist auch Gerechtigkeit“ und zu einer Batterie von Fragen zu Law & Order. Es zeigt sich, dass die Bevölkerung strenge Autorität in dieser abstrakten Formulierung mehrheitlich ablehnt (53 %), bei konkreten Polizeimaßnahmen jedoch eher autoritäre Haltungen vertritt. So stimmen 69 % der Befragten zu, dass der Polizei mehr Respekt entgegengebracht werden sollte, 53 % finden, dass Menschen, die gefährlich sind, eingesperrt könnten werden sollen, noch bevor sie eine Straftat begehen, und ebenfalls 53 % finden, dass Grundrechte die Abschiebung von Migrantinnen und Migranten nicht verhindern können sollten. Andererseits stimmen aber auch 59% zu, dass die Polizei nur in Ausnahmefällen das Telefon von einer verdächtigen Person abhören können soll, und treten somit für eine Einschränkung einer ausufernden Polizeimacht ein.23

Die Polizei soll als bürgerliche Form moderner kapitalistischer Staatsgewalt24 wenn es um Auseinandersetzungen mit “unerschwünschte” Gruppierungen, seien es “Linke”, “Fremde”, “Klimaprotestierende” oder gar “Flüchtlinge”, geht, einsperren und strenge Autorität üben. Diese Antworten zeigen, dass es verstärkt sozialer und demokratischer Kontrolle des Polizeiapparats braucht.

Demokratie


58 % lehnen die Aussage „Demokratie führt immer zu Chaos, Korruption und Misswirtschaft“ ab, 59 % lehnen die Aussage „Ich wünsche mir einen starken Mann an der Spitze dieses Landes, der sich nicht um ein Parlament kümmern muss“ ab, und 55% verneinen die Aussage „Es ist besser, nur eine starke Partei in diesem Land zu haben, um mit einer geeinten und starken Stimme sprechen zu können“. Andererseits stimmen 60 % der Aussage zu, dass es in „jeder Demokratie auch eine Opposition geben muss, die die Meinung von Minderheiten vertritt“, 82 % stimmen zu, dass nicht alle „Macht in der Hand von einer einzigen starken Führungsperson liegen soll“, sondern bei der Bevölkerung, und 73 % stimmen zu, dass „es gut ist, wenn sich alle Menschen an der Politik beteiligen“. 25

Für mich sind die 55% Ablehnung bei der sechsten Aussage („Besser eine starke Partei, um mit geeinter Stimme zu sprechen„) ein Indiz, dass es in der Bevölkerung den Wunsch nach mehr Mitwirkung und Mitentscheidung gibt. Wenn wir diesen Gedanken ernst nehmen, braucht es eine Form von Demokratie, die offen für neue Repräsentationsansprüche sein muss.26 Der Zugang zum politischen Prozess muss möglichst offen gestaltet werden, ob für den/die Einzelne/n oder neue Gruppen. Da Demokratie auch gelernt werden muss, haben die Schulen und Bildungseinrichtungen eine besondere Verantwortung. Wie schon Otto Glöckel sagte: “Wir brauchen Demokraten und keine Untertanen!” Aber auch Gewerkschaften, die SPÖ und befreundete Organisationen haben diesbezüglich enormen Nachholbedarf. Aber auch im öffentlichen Leben stellen sich neue Fragen: Welche Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten haben Fahrgasträt:innen, werden Wohnungsgenossenschaften verpflichtet Wohnbeiräte zu gründen, die definierte Mitentscheidungsmöglichkeiten haben. Eine Möglichkeit wären Grätzel-Communities, die den Wohngebieten Leben einhauchen.

Gewaltbereitschaft und Mittel zum Zweck


Holzer27 beschreibt Gewaltakzeptanz und Gewaltlatenz neben Demagogie als politische Stilmittel des Rechtsextremismus. Gewalt ist dabei nicht notwendigerweise Bestandteil von Rechtsextremismus, doch wo die Durchsetzung rechtsextremer Ideologeme wie Ungleichheit, Homogenität und Dominanz anders nicht erreicht werden können, gilt Gewalt als legitimes Mittel. Die Natur bediene sich schließlich auch der Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ordnung.

In der vorliegenden Studie wurde einerseits Akzeptanz von Gewalt und Bereitschaft zu Gewalt ganz allgemein abgefragt, andererseits die Akzeptanz von politischer Gewalt ganz konkret.

Es zeigt sich (Grafik 16), dass verbale Gewalt („Politiker in sozialen Medien zu beschimpfen“) akzeptierter ist (bei 16 %) als physische Gewalt. Für 6 % ist es akzeptabel, zur Anwendung von Gewalt aufzurufen, für 9 %, gewaltsam zu demonstrieren, für 10 %, sich zu bewaffnen, für 5 %, Eigentum zu zerstören und schließlich für 7 %, Politiker:innen auch physisch anzugreifen. Diese Relationen stimmen in etwa auch für Personen mit ausgeprägt rechtsextremen Einstellungen – wenngleich auf durchgängig höherem Niveau. Hier ist es für mehr als ein Drittel (37 %) akzeptabel, Politiker in sozialen Medien zu beschimpfen. Die anderen Formen von physischer Gewalt finden bei 17 % bis 25 % der Befragten mit erhöhtem rechtsextremem Potential Akzeptanz.28

Auszug aus der Zusammenfassung der Studie von den Autor:innen

Die hier vorgelegten Zahlen müssen differenziert betrachtet werden. In ihrer Gesamtheit betrachtet geben die Studienergebnisse keinen Anlass für Alarmismus: Auch wenn sich eine Gruppe von Menschen mit ausgeprägt rechtsextremen Einstellungen ausmachen lässt, so ist der überwiegende Teil der Befragten dennoch klar demokratisch gesinnt. Doch sind manche Ergebnisse auch für die Gesamtbevölkerung durchaus demokratiepolitisch bedenklich, etwa wenn 29 % der knapp 2.200 Befragten finden, Muslimen und Musliminnen sollte die Zuwanderung nach Österreich untersagt werden. 38 % wollen nicht neben Romnja und Sintizze wohnen und 42 % finden, dass Israels Politik in Palästina genauso schlimm sei wie die Politik der Nazis im Zweiten Weltkrieg, eine Aussage, die von Gerichten immerhin als Straftatbestand nach dem Verbotsgesetz ausgelegt werden könnte. Das Rechtsextremismus-Barometer zeigt allgemein zusammengefasst ein gesellschaftlich nicht vernachlässigbares Bedürfnis nach Abwertung der „Anderen“, eine Verachtung von Minderheiten sowie eine mit einem zunehmenden Vertrauensverlust in demokratische Institutionen verbundene sozialpsychologische „Lust“ an gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Autoritarismus.

Quellenverzeichnis

1 Ein teutsches Land – Die Rechte Orientierung des Jörg Haider – eine Dokumentation von Brigitte Galanda (2004-2014 wissenschaftliche Leiterin des DÖW), Löcker Verlag Wien, 1987, Auszüge aus der Einleitung von Peter Turrini, Seite 7
2 In der Soziologie wird eine Gruppe von Merkmalen oder Faktoren, deren gemeinsames Auftreten einen bestimmten Zusammenhang oder Zustand anzeigt, als Syndrom bezeichnet.
3 19,3 Prozent der österreichischen Bevölkerung haben keine österreichische Staatsbürger:innenschaft. Die meisten Ausländer:innen in Österreich sind Deutsche, gefolgt von Rumäne:innen und Türk:innen. Österreichs Wirtschaft im Überblick – Österreichisches Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum 2024/2025.
4 Hillebrand, Ernst (Hg.), Rechtspopulismus in Europa – Gefahr für die Demokratie?, Seite 62
5 Peham, Andres (DÖW): Auszug aus der AK-Wien, VÖGB und IG-Metall-Konferenz 2015, Die “kleinen Leute” und das große Kapitalinteresse – Rechtsextremismus als Herausforderung für die Gewerkschaften
6 Kranebitter Andreas und Johanna Willmann (2024): Rechtsextremis-Barometer, Seite 13
7 Kranebitter Andreas und Johanna Willmann (2024): Rechtsextremis-Barometer, Seite 16
8 Schatz, Antonia: Missbrauchte Heimat – Volkskultur im Nationalsozialismus, 2021
9 Kranebitter Andreas und Johanna Willmann (2024): Rechtsextremis-Barometer, Seite 16
10 Buxbaum, Adi (2023): ABC des Unsozialen, Seite 12
11 GPA-djp(Hg.): Migration und Integration im Blickfeld, Seite 10
12 >ÖGB-Präsident Erich Foglar, 2015
13 Schöler, Uli(2016): Herausforderungen an die Sozialdemokratie, Seite 409
14 Buxbaum, Adi (2023): ABC des Unsozialen, Seite 123
15 Befürworter:innen des Ethnopluralismus lehnen eine Durchmischung verschiedener Völker ab, weil sie darin eine Bedrohung sehen. Nach dem Weltbild von Ethnopluralist:innen sollen Gesellschaften innerhalb von Staatsgrenzen homogen sein. Auf internationaler Ebene sollen die verschiedenen Ethnien möglichst voneinander ferngehalten werden und abgegrenzt in ihren „angestammten Territorien“ leben.
16 Als Segregation wird die räumliche Abgrenzung und Aufteilung sozialer Gruppen bezeichnet. In Städten passiert das z.B. in Form von Wohngebieten. Unterschiedliche soziale Gruppen wohnen meist in verschiedenen Stadtvierteln. Es gibt also zum Beispiel Studenten:innenviertel, Armutsviertel und Reichenviertel. In manchen Stadtteilen wohnen unter Umständen auch besonders viele Künstler:innen, Migrant:innenen, Familien oder ältere Menschen.
17 Kranebitter Andreas und Johanna Willmann (2024): Rechtsextremis-Barometer, Seite 20
18 Decker, Oliver, Johannes Kiess und Ayline Heller, Elmar Brähler(Hg.): Vereint im Ressentiment
19 Schmidt, Colette M.: Jahresbericht der Meldestelle bei der Israelitischen Kultusgemeinde, in: Der Standard, 13. März 2024
20 Akquieszenz, auch inhaltsunabhängige Zustimmungstendenz, ist in der empirischen Sozialforschung die Tendenz von Befragten, unabhängig vom Inhalt den Fragen zuzustimmen.
21 Kranebitter Andreas und Johanna Willmann (2024): Rechtsextremis-Barometer, Seite 22
22 Kranebitter Andreas und Johanna Willmann (2024): Rechtsextremis-Barometer, Seite 23
23 Kranebitter Andreas und Johanna Willmann (2024): Rechtsextremis-Barometer, Seite 24
24 Gerstenberger, Heide: Die Subjektlose Gewalt – Theorie der Enstehung bürgerlicher Staatsgewalt, 3. Auflage, Seite 530
25 Kranebitter Andreas und Johanna Willmann (2024): Rechtsextremis-Barometer, Seite 26
26 Müller, Jan-Werner(2021) Freiheit, Gleichheit, Ungewissheit – Wie schafft man Demokratie?, Seite 170
27 Holzer, Willibald(1996): Rechtsextremismus – Konturen, Definitionsmerkmale und Erklärungsansätze, in: Stiftung Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hrsg.), Handbuch des österreichischen Rechtsextremismus, S. 12-96, hier: S. 64. (Fußnote übernommen von den Autor:innen des hier behandelten Berichtes)
28 Kranebitter Andreas und Johanna Willmann (2024): Rechtsextremis-Barometer, Seite 26

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